Berechtigtes Interesse
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Das berechtigte Interesse stellt eine alternative Grundlage für die rechtmäßige Verarbeitung dar, die auf die Verwendung von Daten aus sozialen Netzwerken anwendbar sein könnte, auch wenn sich Behörden bei ihrem Handeln nicht auf diese Grundlage stützen können. Diejenigen, die sich auf diese Rechtsgrundlage berufen können, müssen drei kumulative Bedingungen erfüllen[1]:

  1. die Verfolgung eines berechtigten Interesses durch den Verantwortlichen oder durch den oder die Dritten, an die die Daten weitergegeben werden,
  2. die Notwendigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten für die Zwecke der verfolgten berechtigten Interessen und
  3. die Bedingung, dass die Grundrechte und -freiheiten der betroffenen Person, deren Daten geschützt werden müssen, keinen Vorrang haben.

Grundsätzlich könnte also das berechtigte Interesse die perfekte Rechtsgrundlage für die Verarbeitung in diesem Zusammenhang sein. Es gibt jedoch einige gute Gründe für die Annahme, dass diese Grundlage nicht immer für die Verwendung von Daten zu wissenschaftlichen Forschungszwecken herangezogen werden kann:

  • Erstens sollte das berechtigte Interesse für alle gemeinsam Verantwortlichen gelten, wenn die Verarbeitung von einem gemeinsamen Verantwortlichen durchgeführt wird.In der Rechtssache Fashion IDstellteder
    EuGH fest, dass unter solchen Umständen „jeder dieser Verantwortlichen mit diesen Verarbeitungstätigkeitenn ein berechtigtes Interesse […] wahrnimmt, damit diese Vorgänge für jeden Einzelnen von ihnen gerechtfertigt sind.“
  • Zweitens sollten die Verantwortlichen nachweisen können, dass die Abwägungsprüfung angemessen durchgeführt wurde (siehe Abschnitt „Abwägungsprüfung“ im Teil „Maßnahmen und Tools“ dieser Leitlinien). Die gemeinsam Verantwortlichen müssen soimtnachweisen können, dass die Verarbeitung zur Verwirklichung dieser berechtigten Interessen erforderlich ist. Dies ist schwer zu erreichen, da „erforderlich“ eine Verbindung zwischen der Verarbeitung und den verfolgten Interessen erfordert. Daher muss geprüft werden, ob andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen, um denselben Zweck zu erreichen. Ebenso sollte der Auftragsverarbeiter nachweisen können, dass seine berechtigten Interessen nicht durch die Interessen oder Grundrechte und -freiheiten der betroffenen Person überlagert werden. All dies ist schwer nachzuweisen, insbesondere wenn Minderjährige an der Verarbeitung beteiligt sind.[2]
  • Drittens könnte ein berechtigtes Interesse kaum als Rechtsgrundlage für eine rechtmäßige Verarbeitung gelten, wenn eine solche Verarbeitung mit einer die Privatsphäre einschränkenden Profilerstellung und Tracking-Praktiken verbunden ist, z. B. mit der Verfolgung von Personen über mehrere Websites, Standorte, Geräte, Dienste oder Datenvermittlungsdienste hinweg.[3]
  • Viertens: Wenn wir stattdessen Daten über betroffene Personen betrachten, die bereits eine frühere Beziehung mit dem IKT-Forscher und -Innovator über das soziale Netzwerk hatten, scheint die Verwendung des berechtigten Interesses als Rechtsgrundlage recht vernünftig. Allerdings sollten die Verantwortlichen berücksichtigen, ob die frühere Beziehung derjenigen ähnlich war, die nun aufgebaut werden soll.

Wird schließlich das berechtigte Interesse als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung gewählt, so haben die Verantwortlichen zu beachten, dass die Transparenzpflicht und das Widerspruchsrecht sorgfältig geprüft werden müssen. Betroffene Personen sollten die Möglichkeit erhalten, der Verarbeitung ihrer Daten für gezielte Zwecke zu widersprechen, bevor die Verarbeitung eingeleitet wird. Nutzer sozialer Medien sollten nicht nur die Möglichkeit haben, Widerspruch gegen die Verarbeitung einzulegen, wenn sie auf die Plattform zugreifen, sondern es sollten auch Kontrollen vorgesehen werden, die sicherstellen, dass die zugrunde liegende Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten für bestimmte Zwecke nicht mehr stattfindet, nachdem sie Widerspruch gegen die Verarbeitung eingelegt haben.[4]

Checkliste: Berechtigtes Interesse

☐ Die Verantwortlichen haben geprüft, ob das berechtigte Interesse die am besten geeignete Grundlage für die Verarbeitung ist.

☐ Die Verantwortlichen haben sich vergewissert, dass die Verarbeitung notwendig ist und dass es keinen weniger in die Privatsphäre eingreifenden Weg gibt, um das gleiche Ergebnis zu erzielen.

☐ Die Verantwortlichen haben eine Abwägung vorgenommen und sind zuversichtlich, dass die Interessen des Einzelnen diese berechtigten Interessen nicht überwiegen.

☐ Die Verantwortlichen verwenden die Daten von Personen nicht in einer Weise, die diese als in die Privatsphäre eingreifend empfinden würden oder die ihnen Schaden zufügen könnte, es sei denn, es gibt einen sehr triftigen Grund.

☐ Wenn die Verantwortlichen die Verarbeitung von Daten von Kindern vorsehen, haben sie besonders sorgfältig darauf geachtet, dass das berechtigte Interesse eine geeignete Datenbasis darstellt.

☐ Die Verantwortlichen haben Garantien in Betracht gezogen, um die Auswirkungen nach Möglichkeit zu verringern.

☐ Die Verantwortlichen haben geeignete Instrumente eingeführt, um sicherzustellen, dass das Widerspruchsrecht von den betroffenen Personen leicht umgesetzt werden kann.

☐ Wenn die Verantwortlichen eine erhebliche Auswirkung auf den Schutz personenbezogener Daten festgestellt haben, haben sie geprüft, ob sie auch eine Datenschutz-Folgenabschätzung durchführen müssen.

☐ Die Verantwortlichen haben Informationen über ihre berechtigten Interessen in ihre Datenschutzinformationen aufgenommen.

 

Quellenangaben


19 EuGH, Urteil in der Rechtssache Fashion ID, 29. Juli 2019, C-40/17, Randnr. 95 – ECLI:EU:C:2019:629.

2Siehe Artikel-29-Datenschutzgruppe,Stellungnahme 06/2014 zum Begriff des berechtigten Interesses des für dieVerarbeitung Verantwortlichen gemäß Artikel 7 der Richtlinie 95/46/EG, WP217, 9. April 2014 https://ec.europa.eu/justice/Article-29/documentation/opinion- recommendation/files/2014/wp217_en.pdf

3Artikel 29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme zum Profiling und zur automatisierten Entscheidungsfindung, WP 251, Rev. 01, S. 15, siehe auch Artikel 29-Datenschutzgruppe, Stellungnahme zum Begriff des berechtigten Interesses, S. 32 und 48: „Insgesamt besteht ein Ungleichgewicht zwischen dem berechtigten Interesse des Unternehmens und dem Schutz der Grundrechte der Nutzer, wobei Artikel 7 Buchstabe f nicht als Rechtsgrundlage für die Verarbeitung herangezogen werden sollte. Artikel 7 Buchstabe a wäre ein geeigneterer Grund für die Verarbeitung, sofern die Bedingungen für eine gültige Einwilligung erfüllt sind.

4Leitlinien 8/2020 über die gezielte Ansprache von Nutzer:innen sozialer Medien,Version 2.0 angenommen am 13. April 2021, unter: https://edpb.europa.eu/system/files/2021-04/edpb_guidelines_082020_on_the_targeting_of_social_media_users_en.pdf, S. 11)

 

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