Öffentliches Interesse und der wissenschaftliche Forschungsrahmen
Home » Soziale Netzwerke zu Forschungszwecken: ethische und rechtliche Anforderungen an den Datenschutz » Wahl einer Rechtsgrundlage für die Weiterverarbeitung » Öffentliches Interesse und der wissenschaftliche Forschungsrahmen

Gemäß Artikel 6 Buchstabe e DSGVO ist die Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die im öffentlichen Interesse liegt. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass „wissenschaftliche Forschung“ ein sehr weit gefasster Begriff ist, der sich im Allgemeinen auf die Suche nach Wissen durch eine bestimmte Methodik in jedem Bereich des menschlichen Wissens bezieht. Wenn die Verantwortlichen also eine wissenschaftliche Methodik anwenden und in irgendeiner Weise nach Erkenntnissen suchen, die auf der Verwendung von Daten beruhen, ist es sehr wahrscheinlich, dass eine solche Verarbeitung auf der Grundlage des Rechtsgrundes des öffentlichen Interesses rechtmäßig sein könnte.

Darüber hinaus könnte das öffentliche Interesse dazu dienen, die in Artikel 9 Absatz 1 DSGVOgenannten Ausnahmen zu umgehen, wenn besondere Datenkategorien verwendet werden und andere Rechtsgrundlagen (wie z. B. Forschung) in diesem Fall nicht anwendbar sind. In diesem Fall muss die Verarbeitung jedoch auf dem Recht der EU oder eines Mitgliedstaates beruhen und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Zweck stehen, den Kern des Rechts auf Datenschutz wahren und geeignete und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und der Interessen der betroffenen Person vorsehen[1](siehe Unterabschnitt „Datenschutz und wissenschaftliche Forschung“, Abschnitt „Hauptkonzepte“des allgemeinen Teils dieser Leitlinien).

Andererseits darf nicht vergessen werden, dass in Artikel 5 Buchstabe b DSGVO der Grundsatz der Zweckbindung verankert ist, demzufolge Daten nicht für andere als die ursprünglich festgelegten Zwecke verarbeitet werden dürfen. Interessanterweise sieht dieser Artikel vor, dass bestimmte Zwecke, zu denen auch die wissenschaftliche Forschung gehört, als mit dem ursprünglichen Zweck vereinbar gelten, sodass die anschließende Verarbeitung vermutlich rechtmäßig ist. Wenn also der Verantwortliche argumentieren und dokumentieren kann, dass der Zweck der Verarbeitung die wissenschaftliche Forschung ist, werden sekundäre Verwendungen personenbezogener Daten grundsätzlich als mit dem ursprünglichen Zweck der Verarbeitung personenbezogener Daten vereinbar angesehen (siehe Unterabschnitt „Grundsatz der Zweckbindung“, Abschnitt „Grundsätze“des allgemeinen Teils dieser Leitlinien).

Darüber hinaus hat das soziale Netzwerk, das die Daten ursprünglich erhoben hat, in die Einwilligung der betroffenen Person wahrscheinlich eine Klausel aufgenommen, die ihm oder einem Dritten die Weiterverarbeitung zu Forschungszwecken erlaubt, oder zumindest die betroffene Person darüber informiert, dass eine solche Verarbeitung als mit ihrer ursprünglichen Einwilligung vereinbar angesehen wird. In diesem Fall wäre die Verarbeitung zu Forschungszwecken auf derselben Rechtsgrundlage rechtmäßig, die dem sozialen Netzwerk die Erhebung der Daten erlaubt hat.

Diese Bewertung muss jedoch vor der anschließenden Verarbeitung für sekundäre Zwecke erfolgen und auf objektiven Kriterien beruhen. Der rechtliche Rahmen zu diesem Thema kann sich in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten erheblich unterscheiden. Daher sollten sich die Verantwortlichen über den anwendbaren konkreten normativen Rahmen im Klaren sein. Zu diesem Zweck wird eine Konsultation mit den Datenschutzbeauftragten[2] sowie die Einbeziehung eines Beraters/einer Abteilung für ethische und rechtliche Fragen in das jeweilige Projekt dringend empfohlen.

Checkliste: Wissenschaftliche Forschung

☐ Die Verantwortlichen haben geprüft, ob ihr Projekt in das Konzept der wissenschaftlichen Forschung passt.

☐ Die Verantwortlichen haben ihre Datenschutzbeauftragten über die Anwendung dieser Ausnahme vom Verbot der Verarbeitung von Daten besonderer Kategorien konsultiert.

☐ Die Verantwortlichen haben den nationalen Rechtsrahmen zu diesem Thema konsultiert.

☐ Die Verantwortlichen haben die Garantien und organisatorischen Maßnahmen getroffen, um Artikel 89 DSGVO und den entsprechenden nationalen Vorschriften zu entsprechen.

☐ Die Verantwortlichen haben alle Informationen zu diesem Thema in der Datenschutz-Folgenabschätzung dokumentiert.

 

Quellenangaben


1SieheEOSC-Pillar Guidelines, D4.1: Legal and Policy Framework and Federation Blueprint (2021), S. 76–77. Bei: https://repository.eosc-pillar.eu/index.php/s/tbqe6B7rDycdFCJ#pdfviewer

2Einige praktische Fragen und Antworten zu diesem Thema finden Sie hier: https://www.ru.nl/rdm/gdpr-research/faq-gdpr-research/

 

Skip to content