Datenschutz und wissenschaftliche Forschung
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Pilar Nicolás Jiménez[1] (UPV/EHU), Mikel Recuero Linares (UPV/EHU)

Dieser Teil der Leitlinien wurde von Rossana Ducato überprüft

Dieser Teil des Leitfadens wurde von Marko Sijan, Senior Advisor Specialist, (HR DPA) überprüft und bestätigt.

Einführung

Wie der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) hervorhob, „hat die Europäische Kommission die Ziele der EU-Forschungs- und Innovationspolitik wie folgt definiert: ‚Öffnung des Innovationsprozesses für Menschen mit Erfahrung in anderen Bereichen als der akademischen Welt und der Wissenschaft‘, ‚Verbreitung von Wissen, sobald es verfügbar ist, unter Verwendung digitaler und kollaborativer Technologie‘ und ‚Förderung der internationalen Zusammenarbeit in der Forschungsgemeinschaft‘“.[1] Diese Zwecke stehen nicht im Widerspruch zum Datenschutz. In der Tat sollten Datenschutzbestimmungen kein Hindernis für die Freiheit der Wissenschaft gemäß Artikel 13 der Charta der Grundrechte der EU sein. Vielmehr müssen diese Rechte und Freiheiten sorgfältig bewertet und abgewogen werden, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das das Wesen beider respektiert. [2]

Die Absicht, die hinter unseren aktuellen Datenschutzgesetzen steht, ist die Harmonisierung der Datenverarbeitung mit wissenschaftlichen Forschungszwecken.[3] Diese Absicht ist eindeutig mit Artikel 179 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Verwirklichung eines Europäischen Forschungsraums verbunden. In diesem Sinne wurde mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ein neuer Rahmen geschaffen, der die Datenverarbeitung zu im öffentlichen Interesse liegenden Archivzwecken, zu historischen und wissenschaftlichen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken ermöglichen soll und der über die Bestimmungen der Richtlinie 95/46/EG hinausgeht.[4] Das Kernstück dieser neuen Verordnung ist Artikel 89 der Datenschutz-Grundverordnung, der durch zahlreiche weitere Verweise im gesamten Text ergänzt wird. Diese finden sich sowohl in dem Teil der Datenschutz-Grundverordnung, der die entscheidenden Kriterien für ihre Auslegung enthält (Erwägungsgründe), als auch in einigen spezifischen Bestimmungen[5]. Auf der Grundlage dieser Erwägungsgründe sollten einige vorläufige Ideen hervorgehoben werden.

Erstens heißt es in Erwägungsgrund 157, dass Forscher durch die Verknüpfung von Informationen aus Registern, einschließlich verschiedener Arten von Daten, die einer großen Anzahl von Personen entsprechen, „neue Erkenntnisse von großem Wert in Bezug auf weit verbreiteten Krankheiten wie Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs und Depression erhalten“ können. Infolgedessen „können bessere Forschungsergebnisse erzielt werden, da sie auf einen größeren Bevölkerungsanteil gestützt sind“. Diese Instrumente können zur Verbesserung der Forschungspolitik und damit zur Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung beitragen. Diese Vorteile bedeuten, dass die Verarbeitung von Daten zu diesen Zwecken durch Forscher vernünftig ist, vorausgesetzt, die Rechte der Probanden sind gewährleistet. Damit wird die Forschung als ein Prozess begriffen, der kurz-, mittel- oder langfristig einen gesellschaftlichen Nutzen verfolgt, der sehr weit gefasst ist (Verbesserung der Lebensqualität), aber gleichzeitig auf diesen spezifischen Zweck beschränkt wird. In Erwägungsgrund 159 heißt es außerdem: „Um den Besonderheiten der Verarbeitung personenbezogener Daten zu wissenschaftlichen Forschungszwecken zu genügen, sollten spezifische Bedingungen insbesondere hinsichtlich der Veröffentlichung oder sonstigen Offenlegung personenbezogener Daten im Kontext wissenschaftlicher Zwecke gelten“.

Die zweite zu behandelnde Frage ist der spezifische Charakter der Einwilligung als Voraussetzung für ihre Gültigkeit, die einige Besonderheiten aufweist, wenn der Zweck der Verarbeitung wissenschaftliche Forschung ist. In der Tat heißt es in Artikel 4 DSGVO, dass die Einwilligung „jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung ist, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist“. In Erwägungsgrund 33 heißt es jedoch: Oftmals kann der Zweck der Verarbeitung personenbezogener Daten für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zum Zeitpunkt der Erhebung der personenbezogenen Daten nicht vollständig angegeben werden.“

Es kommt jedoch häufig vor, dass sich im Laufe eines Projekts Ansätze herauskristallisieren, die ursprünglich nicht vorgesehen waren, oder dass die Schlussfolgerungen nach Abschluss des Projekts die Tür zu anderen, verwandten Projekten öffnen. Außerdem sind Forscher und Teams oft auf einen Bereich oder eine Forschungsrichtung spezialisiert, die sich aus bestimmten Projekten entwickelt hat, und die Daten können über lange Zeiträume hinweg nützlich oder notwendig sein[6]. Als Antwort darauf sind institutionelle Modelle – wie Biobanken – entstanden, die als Vermittler zwischen Probanden und Forschern fungieren. Der Zweck der Sammlung dieser Daten besteht darin, sie für den Fall zu speichern, dass sie benötigt werden, ohne grundsätzlich zu wissen, welches Forschungsprojekt oder welche Forschungsprojekte sie verarbeiten wird.Angesichts dieser Tatsache heißt es in Erwägungsgrund 33: „Daher sollte es betroffenen Personen erlaubt sein, ihre Einwilligung für bestimmte Bereiche wissenschaftlicher Forschung zu geben“, auch wenn „die betroffenen Personen sollten Gelegenheit erhalten, ihre Einwilligung nur für bestimme Forschungsbereiche oder Teile von Forschungsprojekten in dem vom verfolgten Zweck zugelassenen Maße zu erteilen“. Unterschiedliche Optionen und Einwilligungen sind also in unterschiedlichem Umfang zulässig, sofern sie, wie es im Erwägungsgrund heißt, „wenn dies unter Einhaltung der anerkannten ethischen Standards der wissenschaftlichen Forschung geschieht“.

Ein dritter Punkt, der Aufmerksamkeit verdient, ist der in Erwägungsgrund 50 enthaltene, der sich auf die so genannte Vereinbarkeit von Zwecken[7] bezieht, d. h. auf die „Verarbeitung personenbezogener Daten für andere Zwecke als die, für die die personenbezogenen Daten ursprünglich erhoben wurden“. Dieser Begriff wird in Fällen verwendet, in denen die personenbezogenen Daten, die für Forschungszwecke verwendet werden sollen, ursprünglich für einen anderen Zweck erhoben oder verarbeitet wurden, aber für weitere neue (vereinbare) Zwecke rechtmäßig verarbeitet werden können. Darüber hinaus wird die Weiterverarbeitung für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke, zu wissenschaftlichen oder historischen Forschungszwecken oder zu statistischen Zwecken ex lege als eine vereinbare rechtmäßige Verarbeitung betrachtet. Dies bedeutet, dass für diesen weiteren Zweck unter den später zu beschreibenden Bedingungen weder die Einwilligung der betroffenen Person noch eine andere Rechtsgrundlage erforderlich ist. Diese Option ist für die wissenschaftliche Forschung von größter Bedeutung, da sie den Zugang zu einer großen Menge von Daten erleichtern kann, ohne dass die betroffenen Personen erneut kontaktiert werden müssen.

Schließlich ist Erwägungsgrund 53 zu erwähnen, der den Zweck der Datenschutz-Grundverordnung aufgreift, nämlich die Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten für gesundheitsbezogene Zwecke (insbesondere im Zusammenhang mit der Verwaltung von Diensten und Systemen des Gesundheits- und Sozialwesens). Darüber hinaus heißt es:„Im Recht der Union oder der Mitgliedstaaten sollten besondere und angemessene Maßnahmen zum Schutz der Grundrechte und der personenbezogenen Daten natürlicher Personen vorgesehen werden. Den Mitgliedstaaten sollte gestattet werden, weitere Bedingungen – einschließlich Beschränkungen – in Bezug auf die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten oder Gesundheitsdaten beizubehalten oder einzuführen.“ Allerdings sollten die eingeführten Maßnahmen „den freien Verkehr personenbezogener Daten innerhalb der Union nicht beeinträchtigen, falls die betreffenden Bedingungen für die grenzüberschreitende Verarbeitung solcher Daten gelten.“

 

Quellenangaben


1Dieser Abschnitt enthält einige Referenzen aus einem Buchkapitel des Autors, das ursprünglich auf Spanisch veröffentlicht wurde: Comentarios al Reglamento General de Protección de Datos y a Ley Orgánica de Protección de Datos Personales y garantía de los derechos digitales (Antonio Troncoso Reigada, Dir.), Thomson Reuters Aranzadi, 2020.

2EDSB, Vorläufige Stellungnahme zum Datenschutz und zur wissenschaftlichen Forschung, 2020, S. 10. Unter: https://edpb.europa.eu/sites/edpb/files/files/file1/EDSA_guidelines_202003_healthdatascientificresearchcovid19_en.pdfabgerufen am 15. Januar 2020.

3EDSA, Leitlinien 3/2020 für die Verarbeitung von Gesundheitsdaten für wissenschaftliche Forschungszwecke im Zusammenhang mit dem COVID-19-Ausbruch. Verabschiedet am 21. April 2020, S. 5. Unter: https://edpb.europa.eu/sites/edpb/files/files/file1/EDSA_guidelines_202003_healthdatascientificresearchcovid19_en.pdfabgerufen am 23. April 2020.

4Erwägungsgrund 159 DSGVO.

5Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31).

6Siehe u.a.: Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b für als vereinbar anzusehende Zwecke; Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe e für die Speicherbegrenzung; Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe j als Ausnahmeregelung für die Verarbeitung besonderer Datenkategorien; Artikel 14 Absatz 5 Buchstabe b für Transparenz und Information; Artikel 17 Absatz 3 Buchstabe d für das Recht auf Löschung; oder Artikel 21 Absatz 6 für das Recht auf Widerspruch.

7Siehe hierzu auch Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe e der Datenschutz-Grundverordnung, wonach personenbezogene Daten länger gespeichert werden dürfen, sofern sie ausschließlich „für im öffentlichen Interesse liegende Archivzwecke oder für wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder für statistische Zwecke gemäß Artikel 89 Absatz 1“ verarbeitet werden.

8Siehe in diesem Zusammenhang auch Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b der Datenschutz-Grundverordnung.

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